Die Talmudisten

Alle ursprünglichen Autographe des Alten Testaments stammen von jüdischen Schreibern. Der Apostel Paulus schrieb in seinem Brief an die Römer, dass die Worte Gottes dem jüdischen Volk anvertraut worden waren (vgl. Röm 3,2). Jahrhundertelang hat das jüdische Volk ihre heiligen Schriften sehr sorgfältig und präzise aufbewahrt. Lange bevor die Druckerpresse erfunden wurde, wurden die Schriften von Hand geschrieben. Eine andere Möglichkeit der Kopie gab es nicht. Die jüdischen Schriftgelehrten, die von Generation zu Generation Kopien von den Handschriften, oder auch Manuskripte genannt, des Alten Testamentes anfertigten, waren bei ihren Übertragungen sehr genau.

 

Nach der ersten Periode der alttestamentlichen Schriften-Überlieferung, der Periode der Sopherim, mit der hebräischen Bedeutung für Schreiber (ca. 400 v.Chr. bis 200 n.Chr.), begann eine zweite Periode, die talmudische (ca. 100 bis ca. 500 n.Chr.). Darauf folgte die besser bekannte Periode der masoretischen Tradition (ca. 500 bis ca. 950 n.Chr.). Esra – Schriftgelehrter und Lehrer des Wortes Gottes im Alten Testament, arbeitete mit der ersten dieser Gruppen. Sie wurden bis nach der Zeit von Christus als Wächter der Bibel angesehen. Zwischen 100 und 500 n.Chr. entstand der Talmud (Belehrung, Studium) als Verkörperung des hebräischen bürgerlichen und religiösen Rechtes auf der Grundlage der Tora.

 

Die Talmudisten verbrachten viel Zeit damit, das bürgerliche und kanonische hebräische Gesetz zu katalogisieren. Die Schreiber hatten ein ziemlich kompliziertes System für das Kopieren von Synagogen-Schriftrollen.

 

Als erstes muss man, um die Einzigartigkeit der Schrift in ihrer Zuverlässigkeit zu erkennen, die extreme Sorgfalt untersuchen, mit der die Kopisten die alttestamentlichen Manuskripte abgeschrieben haben.

 

Samuel Davidson, ein irischer Bibelgelehrter, beschreibt einige der Regeln der Talmudisten in Bezug auf die Heilige Schrift. Diese strengen Anweisungen lauteten:

 

1. Eine Synagogenrolle muss auf Häuten reiner Tiere geschrieben sein, die

2. eigens für den Synagogengebrauch von einem Juden vorbereitet worden sind.

3. Diese Häute müssen mit Sehnen von reinen Tieren zusammengeheftet werden.

4. Jede Haut muss eine bestimmte Anzahl Spalten aufweisen, die durch den gesamten Codex gleich bleibt.

5. Die Länge einer Spalte darf 48 Zeilen nicht unterschreiten oder 60 Zeilen überschreiten; und die Breite muss 30 Buchstaben entsprechen.

6. Die ganze Abschrift muss erst liniert werden; und wenn drei Wörter ohne Linie geschrieben werden, ist sie wertlos. 

7. Die Tinte soll schwarz-sein, weder rot noch grün, noch andersfarbig und muss nach einem bestimmten Rezept hergestellt werden.

8. Die Vorlage muss eine authentische Kopie sein, von der der Abschreiber nicht im Geringsten abweichen darf.

9. Kein Wort oder Buchstabe, nicht einmal ein Jota (kleinster hebräischer Buchstabe) darf aus dem Gedächtnis geschrieben werden, also ohne, dass der Schreiber den vor ihm liegenden Codex betrachtet hat.

10. Zwischen allen Konsonanten muss eine Haares- oder Fadenbreite Platz gelassen werden.

11. Zwischen allen neuen Parascha oder Abschnitten muss eine Breite von neun Konsonanten und

12. zwischen den einzelnen Büchern drei Zeilen sein.

13. Das 5. Buch Mose muss genau mit einer Zeile abschließen; aber die restlichen Bücher (des Pentateuch) brauchen das nicht.

14. Außerdem muss der Kopist in voller jüdischer Tracht sein und

15. seinen ganzen Leib gewaschen haben.

16. Er darf den Namen Gottes nicht mit einem gerade in Tinte getauchten Schreibgerät anfangen, und sollte ihn

17. ein König anreden, während er diesen Namen schreibt, so darf er ihn nicht beachten.

 

Davidson fügt hinzu: "Die Schriftrollen, in denen diese Regeln nicht beachtet werden, sind zum Vergraben in der Erde oder zum Verbrennen verdammt".

 

Ehrfurcht vor der Schrift und Bedacht Sein auf die Reinheit des heiligen Textes kam nicht erst nach dem Fall Jerusalems auf. Man kann sogar bis auf Esra zurückgehen, der in Esr 7,6.10 ein "kundiger Schriftgelehrter" genannt wird. Er war ein Fachmann, ein Schriftgelehrter und Lehrer des Wortes Gottes.

 

Warum haben wir nicht mehr alte Manuskripte? 

 

Zwei- oder dreitausend Jahre sind im Hinblick auf die Lebensdauer alter Dokumente eine lange Zeit. Trotzdem gibt es einige Hinweise, die den Schluss zulassen, dass sie von sehr guter Qualität sind. Gerade das Fehlen alter Manuskripte bestätigt die Zuverlässigkeit der Abschriften, die wir heute besitzen, wenn man die Regeln und die Genauigkeit der Kopisten in Betracht zieht.

 

Die Talmudisten waren nach Beendigung einer Manuskript-Abschrift so sehr davon überzeugt, eine genaue Kopie zu besitzen, dass sie der neuen Abschrift die gleiche Autorität wie der Vorlage beimaßen. Frederic Kenyon, ein britischer Altphilologe und Paläograph mit dem Spezialgebiet der Papyrologie, gibt weitere Anmerkungen zu dem eben Gesagten und zur Vernichtung alter Abschriften:

 

"Dieselbe extreme Sorgfalt, die der Umschreibung der Manuskripte gewidmet wurde, liegt auch dem Verschwinden der früheren Abschriften zugrunde. Wenn ein Manuskript mit der vom Talmud vorgeschriebenen Genauigkeit abgeschrieben und ordnungsgemäß auf seine Richtigkeit hin bestätigt worden war, wurde es als authentisch akzeptiert und als von gleichem Wert geachtet wie alle anderen Abschriften. Waren alle gleichermaßen korrekt, dann gab das Alter einem Manuskript keinen Vorteil; im Gegenteil, Alter war dann sogar ein Nachteil, da ein Manuskript ja mit der Zeit unleserlich oder beschädigt werden konnte. Eine beschädigte oder unvollkommene Abschrift wurde sofort für unbrauchbar erklärt".

 

Für jede Synagoge gab es eine "Geniza", einen Abstellraum in der man unbrauchbar gewordene oder unkorrekte Handschriften bis zu ihrer endgültigen Vernichtung verbarg, um Missbrauch oder Entwürdigung einer den heiligen Gottesnamen enthaltenden Handschrift auszuschließen. Aus diesen Aufbewahrungsstätten hat man einige der noch existierenden ältesten Manuskripte in unserer Zeit wieder aufgefunden. Die jüdische Gewohnheit war also weit davon entfernt, eine ältere Kopie der Schrift als wertvoller zu betrachten, sondern man zog die jüngeren als die vollkommeneren und unbeschädigten vor. Die älteren Abschriften verfielen natürlich, sobald sie in die Geniza gelegt wurden, entweder weil sie nicht mehr gebraucht oder weil sie absichtlich verbrannt wurden, wenn die Geniza überfüllt war.

 

Das Fehlen sehr alter Kopien der hebräischen Bibel braucht uns daher weder zu überraschen noch zu beunruhigen. Normalerweise können wir gar nichts anderes erwarten, da nach jüdischer Vorschrift eben unbrauchbar gewordene und unkorrekte Handschriften vernichtet werden mussten. Wenn wir zu den bereits aufgeführten Ursachen noch die wiederholten Verfolgungen zählen, bei denen viel jüdisches Eigentum zerstört wurde, so ist das Verschwinden der alten Manuskripte ausreichend begründet, und die Übriggebliebenen können akzeptiert werden als solche, die das erhalten, was sie zu erhalten beanspruchen, nämlich den masoretischen Text.


Gottes Segen Euch allen!

 

1. Thessalonicher 5,23

"Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und  vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!"

 

Amen