Der Prophet Jesaja beschrieb am eindringlichsten, was am Kreuz geschah, und zwar 700 Jahre, bevor dieses Ereignis stattfand. In Jesaja 53,10 beschreibt der Prophet einen "Knecht Gottes", dessen Leben dem Herrn als Opfer für Sünden dargebracht wird. Die neutestamentlichen Autoren sind sich ausnahmslos darin einig, dass dieser namenlose "Knecht" niemand anderer als Jesus ist. Was Gott mit diesem Opfer bezweckt, wird in Jesaja 53,6 zusammengefasst:
"Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen (eigenen) Weg; aber der Herr ließ ihn treffen unser aller Schuld."
Hier liegt das grundlegende universale Problem der gesamten Menschheit: Jeder einzelne von uns hat sich seinen eigenen Wegen zugewandt. Es gibt wohl bestimmte Sünden, die manche von uns nicht begangen haben, wie beispielsweise Mord, Ehebruch oder Diebstahl. Aber eines haben wir alle gemeinsam: Wir haben uns unserem eigenen Weg zugewandt. Und indem wir dies taten, haben wir Gott unseren Rücken zugekehrt.
Das hebräische Wort, das am besten zusammenfasst, was hier mit "Schuld" übersetzt wird, heißt avon / עָווֹן. Das entsprechende deutsche Wort, das der ursprünglichen Bedeutung am nächsten kommt, ist "Rebellion" – nicht gegen Menschen, sondern gegen Gott.
Allerdings gibt es im Deutschen kein Wort, weder "Schuld" noch "Rebellion", das die vollständige Bedeutung von avon wiedergeben könnte. In seiner biblischen Anwendung drückt avon nicht nur den Aspekt der Schuld aus, sondern auch den Aspekt der Strafe, oder der unheilvollen Konsequenzen, die Schuld nach sich zieht.
In 1. Mose 4,13 beispielsweise sagt Kain, nachdem Gott ihn wegen des Mordes an seinem Bruder verurteilt hatte:
"Zu groß ist meine Strafe, als dass ich sie tragen könnte."
Das Wort, welches hier mit Strafe übersetzt wird, ist avon. Es drückt nicht nur Kains "Schuld" aus, sondern auch die "Strafe", welche die "Schuld" nach sich zog.
In 3. Mose 16,22 sagte der Herr bezüglich des Sündenbocks, der am Versöhnungstag in die Wüste in den Tod geschickt wurde:
" ... damit der Ziegenbock all ihre Schuld auf sich trägt in ein ödes Land ...".
In dieser Symbolhandlung wird deutlich, dass der Bock nicht nur die Schuld der Israeliten trug, sondern auch deren Konsequenzen.
In Klagelieder 4 taucht avon zweimal auf – jedesmal mit der gleichen Bedeutung. In Vers 6 heißt es (wörtl. a.d. Englischen):
"Die Strafe für deine Schuld, o Tochter meines Volkes ...".
Und wiederum in Vers 22:
"Die Strafe für deine Schuld, ... o Tochter Zion. ...".
In beiden Fällen wird das kleine Wörtchen avon mit der ausführlichen Umschreibung "Strafe für deine Schuld" übersetzt. Dies macht deutlich, dass avon in seiner umfassenden Bedeutung nicht nur "Schuld" bedeutet, sondern auch alle unheilvollen Konsequenzen einschließt, die die begangene Schuld in Form eines göttlichen Gerichts nach sich zieht. Dies trifft auch auf das Opfer Jesu am Kreuz zu. Jesus selbst hatte sich keiner einzigen Sünde schuldig gemacht. Der Prophet Jesaja sagt, dass er kein Unrecht begangen habe und kein Trug in seinem Mund gewesen sei (vgl. Jesaja 53,9). Doch in Vers 6 steht:
" ... der Herr ließ ihn treffen unser aller Schuld (avon)."
Jesus wurde nicht nur mit unserer Schuld identifiziert. Er ertrug auch alle unheilvollen Konsequenzen dieser Schuld. Wie sein Vorläufer, der Sündenbock, hat er diese fortgetragen, auf dass sie niemals wieder zu uns zurückkehren.
Hier finden wir die wahre Bedeutung und den eigentlichen Zweck des Kreuzes. Am Kreuz fand ein von Gott verfügter Tausch statt. Jesus ertrug zunächst an unser Statt alle unheilvollen Konsequenzen, die uns auf Grund unserer Schuld gemäß Gottes Gerechtigkeit treffen sollten. Im Gegenzug bietet uns Gott all das Gute an, das dem sündlosen Gehorsam Jesu zugestanden wäre.
Noch kürzer gefasst: Das Unheil, das uns zusteht, kam auf Jesus, damit – im Gegenzug – das Gute, das Jesus zusteht, uns zuteil wird. Gott ist nun in der Lage, uns dies anzubieten, ohne mit seiner ewigen Gerechtigkeit in Konflikt zu kommen, weil Jesus an unserer Stelle schon jegliche Strafe erduldet hat, die wir auf Grund unserer Schuld verdient hätten.
Dieser Tausch entspringt allein der unergründlichen Gnade Gottes und kann nur im Glauben empfangen werden. Es gibt keinerlei logische Erklärung im Sinne von Ursache und Wirkung für dieses Handeln Gottes.
Keiner von uns hat jemals irgendetwas getan, das solch ein Angebot gerechtfertigt hätte. Und niemand kann auch nur das Geringste dazu tun, es sich zu verdienen.
Gottes Segen Euch allen!
1. Thessalonicher 5,23
"Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!"
Amen