Wurde das Neue Testament ursprünglich in hebräisch oder aramäisch geschrieben?

Hin und wieder bekommt man die Frage gestellt, ob die Autographe, also die Originalniederschriften des Neue Testament in hebräisch oder aramäisch geschrieben wurden.

Auch weit verbreitet ist der Glaube, dass die syrische Peschitta (die syrische Bibel) der ursprüngliche Text des Neuen Testaments ist. Dieser Mythos nennt sich "Aramaic Primacy" bzw. "Peshitta Primacy". Die Idee dahinter ist zunächst interessant, allerdings nur wenn man sie oberflächlich betrachtet.

Textwissenschaftler haben die Peschitta untersucht und deutliche Hinweise auf Einflüsse aus späteren Übersetzungen gefunden. Der Dialekt, der in der Peschitta verwendet wird, stammt aus einer späteren Zeitperiode als der von Jesus und seinen Jüngern und verwendet Phrasen, die Wortspiel und Metaphern enthalten. Dies wird von einer Übersetzung erwartet, aber nicht von einem original Autographen. Die uns vorliegende große Anzahl biblischer Manuskripte macht es möglich, verschiedene Varianten und Übersetzungswahlen über Zeit und Geographie zu erkennen. Mit anderen Worten, alle verfügbaren Beweise weisen darauf hin, dass die Peschitta eine spätere Übersetzung und kein Originalmanuskript ist.

Obwohl ich glaube, dass die Annahme vieler, welche glauben, dass das Neue Testament ursprünglich in hebräisch oder Aramäisch verfasst wurde, aufrichtig in ihrer Überzeugung ist, und keine böse Absicht einer Verwirrung dahinter steckt, weiß ich auch, dass diese Auffassung dennoch gefährlich ist und viele Geschwister, insbesondere frisch im Glauben stehende, fehlleiten und irritieren kann.

Zunächst muss man sagen, dass wenn man diese Annahme ganz nüchtern betrachtet, für zwei Drittel der Schriften des Neuen Testaments, die an heidnische Gemeinden geschrieben wurden, welche kein Syrisch bzw. Aramäisch sprachen, keinerlei Sinn ergibt. Der Hauptgrund, warum Griechisch für das Neue Testament anstelle von Aramäisch oder Hebräisch gewählt wurde, war demzufolge, dass die Schreiber nicht nur ein jüdisches, sondern ein breites, nichtjüdisches Publikum erreichen wollten. Griechisch war die führende geschriebene und gesprochene Verkehrssprache im östlichen Mittelmeerraum, der südliche Balkanhalbinsel, Syrien, Palästina und Ägypten, als Rom während der neutestamentlichen Zeit die Welt regierte. Was am biblischen Griechisch interessant ist, ist, dass es keinen hochklassigen oder komplizierten Stil verwendet hat; Es wurde in Koine geschrieben, einer Sprache, die von fast jedem, gebildet oder nicht, verstanden werden konnte.

Griechisch wurde erst später durch Latein verdrängt. Die meiste Literatur in allen Bereichen des Lebens (Wissenschaft, Wirtschaft, Philosophie, Theologie, Medizin, Kunst...) wurde zur Zeit des Neuen Testaments hauptsächlich in Griechisch verfasst. Sehr viele Juden sind mehrsprachig erzogen worden. Sogar das gesamte hebräische Alte Testament wurde bereits mehr als 200 Jahre vor der Geburt Jesu ins Griechische übersetzt, die Septuaginta.

 

Jesu Muttersprache war nicht nur Aramäisch, sondern auch Griechisch. Er verbrachte seine Jugend bis zum Tod des Herodes in Ägypten (Mt 2,13-23), einer Region mit Griechisch als Hauptsprache. Jesus selber brauchte bei Gesprächen mit den römischen Soldaten niemals einen Übersetzter, da er diese Sprache seit seiner Kindheit kannte. Jesus verstand die hebräischen (AT), aramäischen (kurze Abschnitte Daniel und Esra) und natürlich auch die griechischen Texte (Septuaginta) der Bibel.

Des Weiteren wurde die Sprache des Neuen Testament massiv von der griechischen Septuaginta (LXX) beeinflusst, und einige Teile davon beruhen auf der Septuaginta. Dies ist besonders bemerkenswert im Buch der Hebräer, denn fast alle Zitate des Alten Testaments im Hebräerbrief stammen aus der Septuaginta. Für jemand, der Griechisch schreibt, war das auch ganz natürlich. Wenn du jemandem einen Brief schreiben und ihm darin dein Verständnis der Errettung schildern würdest, würdest du auch aus der deutschen Bibel zitieren und nicht aus der hebräischen. Das ist in etwa vergleichbar.

Die Septuaginta von lat. "siebzig", in römischen Zahlen "LXX" heißt so, weil sie von siebzig Männern übersetzt worden sein soll, die angeblich - unabhängig voneinander - alle dieselbe Übersetzung anfertigten. Das mag eine Legende sein. Ich glaube das nicht. Vielleicht gab es siebzig Übersetzer, aber sie fertigten sicherlich nicht unabhängig voneinander identische Versionen an. Diese Version wurde im 2. oder 1. Jahrhundert v.Chr. irgendwo in Ägypten übersetzt und war Standard in den meisten Teilen der antiken Welt, wo die Leute kein Hebräisch konnten, so wie man die deutsche Bibel liest, weil man kein Hebräisch kann.

Dass die handelnden Personen hebräisch, aramäisch oder Latein gesprochen haben, mag naheliegen, aber dass das Neue Testament ursprünglich in Aramäisch geschrieben gewesen sei und dann auf Griechisch übersetzt worden wäre, macht wirklich keinen Sinn. In aramäischen Texten braucht man aramäische Worte oder Wendungen nicht erklären - im Griechischen (oder einer beliebigen Fremdsprache) schon. Beispiele hierfür sind:
 
Boanerges – Donnersöhne (Mk 3,17)
Talita kumi – Mädchen, stehe auf! (Mk 5,41)
Ephata – Werde aufgetan! (Mk 7,34)
Eli, Eli, lama sabachthani – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,46; Mk 15,34)

Wenn man in Griechisch schreibt, muss man einen Aramäischen Begriff oder Redewendung übersetzten, bzw. seine Bedeutung erklären. Wenn man in Aramäisch schreibt nicht.

Darüber hinaus sind alle alten gewichtigen, textlichen Beweise für das Neue Testament in Griechisch, und Textforscher haben kein einziges neutestamentliches Manuskript in Aramäisch oder Hebräisch gefunden, das älter ist als Griechische. Alle aramäischen, neutestamentlichen Schriften aus der Antike sind Übersetzungen, die später niedergeschrieben wurden, als bereits das Neue Testament auf Griechisch geschrieben war. Ohne griechische Manuskripte hätten wir heute kein zuverlässiges Neues Testament.

Wir verfügen somit über keine Fakten, die für die Existenz eines neutestamentlichen aramäischen Urtextes sprechen. Dasselbe gilt für einen hebräischen, neutestamentlichen Urtext. Von einem angeblich aramäischen oder hebräischen Urtext ausgehen zu wollen, ist eine Sache von reiner Spekulation.

Tatsache bleibt, und daran müssen wir festhalten, dass uns Gott als inspirierten Kanon das Neue Testament in griechischer, der damaligen Verkehrssprache, nicht in aramäischer oder hebräischer Sprache gegeben hat, denn zum einen besitzen wir nur sehr wenige aramäische oder hebräische neutestamentliche Handschriften, griechische aber Tausende und die Stimmen überein, und zum anderen sind die aramäischen oder hebräischen mit den griechischen an Alter und Wert überhaupt nicht vergleichbar. Das müssen wir ganz einfach zur Kenntnis nehmen und so stehenlassen.

Ganz abgesehen davon ist es für unseren Glauben relativ unerheblich ob ein angeblicher aramäischer oder hebräischer neutestamentlicher Urtext existiert hat oder auch nicht, denn man muss sich an das Evangelium halten, das einem vorliegt und man kann kaum sinnvoll darüber spekulieren was tatsächlich darin gestanden haben soll oder auch nicht. Man muss sich davor hüten, zu glauben, dass die Schriften, die wir heute haben, wirklich fehlerhafte Interpretationen einiger anderer "verlorener" Texte sind. Nein, die einzigen "verlorenen Texte" sind jene, die dazu führen, dass man sich selbst verliert, indem man das offenbarte, uns vorliegende Wort der Wahrheit hinterfragt (Joh 17,17; Eph 1,13; 2Tim 2,15; Jak 1,18 ). Geschwister, Gottes Wort wird nie versagen (Ps 12,7-8, Spr 30,5-6; Mk 13,31).

Solange man keine direkten Schriftfunde eines aramäischen oder hebräischen Urtextes, welche älter sind als die griechischen, in die Hände bekommt, bleibt alles andere müßige Spekulation und bringt im Glauben nicht weiter, im Gegenteil, es verunsichert nur. Darum ist es weise sich an die verfügbaren Fakten zu halten.

Oft hört man auch, dass man den "wirklichen Jesus" nur in seiner Muttersprache finden wird, oder dass viele Jesus-Worte falsch übersetzt sind und dass Jesu Muttersprache, Aramäisch, die entscheidende Hilfe zum wirklichen Verständnis seiner einzigartigen, fundamentalen Botschaft ist. Das ist alles Unsinn. Selbst eine Bibelübertragung, wie "Hoffnung für Alle" oder "Gute Nachricht Bibel" wird, wenn man sie liest und daran glaubt, Jesus Christus und seine Heilsbotschaft, sein Evangelium, komplett offenbaren und darauf kommt es letztendlich an. Nämlich auf den Inhalt und nicht auf die Sprache. Lasst Euch daher nicht verunsichern und glaubt Eurer Bibel. Wie gut das, uns heute vorliegende Neue Testament, überliefert ist, könnt Ihr hier erfahren. Ich bin sicher, manche werden äußerst beeindruckt sein.


Gottes Segen Euch allen!


1. Thessalonicher 5,23

"Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und  vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!"


Amen